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Eine der Kernfragen, die mich seit dem Kennenlernen der Gewaltfreien Kommunikation beschäftigt, ist das Thema rund um Geben und Nehmen. In der christlichen Religion wird gepredigt, dass Geben seliger sei, denn Nehmen. Ist das wirklich so? Oder ist beides gleich wichtig?
Was geschieht, wenn ich nur gebe?
Wie wirkt es auf meine Mitmenschen, wenn ich nur nehme?
Kann ich Geben von Nehmen überhaupt trennen?
Wie wirkt es sich auf mein Leben aus, wenn ich beides vereine und wie kann mir das gelingen?
All diese Fragen beschäftigen mich und ich möchte sie heute mit dir durchgehen und erarbeiten. Im Anhang findest du noch eine kleine Übung, wie du für dich selbst herausfinden kannst, was dir beim Geben und Nehmen wichtig ist.
All diese Gedanken sind wie ein Buffet: Du darfst das, was dich anspricht, was dir schmeckt, mitnehmen und vertiefen. Alles andere bleibt am reich gedeckten Tisch.
Was geschieht, wenn ich nur gebe?
Vielleicht kennst du das auch: Du gibst und gibst – und nichts kommt zurück! Die Frau opfert sich für die Familie auf, der Mann geht Tag ein Tag aus in die Arbeit damit es der Familie gut geht. Und was bleibt unterm Strich?
Womöglich eine Trennung, weil keine Zeit für ein Miteinander war. Und auch keine Zeit für einen selbst, was genauso wichtig ist wie das Miteinander. Die Kinder sind genervt, weil die Mama schimpft, dass das Haus oder die Wohnung unordentlich ist. Oder weil der Papa herumschreit und mies gelaunt ist, da er nach einem langen Arbeitstag seine Ruhe haben will.
Quelle: Pixabay
Das passiert, wenn du in dem Glauben gibst, es machen zu müssen!
Ich muss das machen, damit es meiner Familie gut geht. Ich muss das machen, weil es ja sonst keiner macht: Das muss ich machen, weil wir sonst im Dreck ersticken.
Dazu kommt noch, dass ich von meinen Kindern und meinem Partner Dankbarkeit erwarte, weil ich Tag und Nacht schufte, damit es ihnen gut geht.Und dass sie mich dabei unterstützen, das Haus in Ordnung zu halten.
Wenn ich aus dieser “Muss-Haltung” heraus gebe, werde ich mit großer Wahrscheinlichkeit daran zerbrechen und mich von meinen Mitmenschen entfernen. Es geht die Verbindung verloren, weil mein Geben nicht vom Herzen kommt, sondern an Erwartungen gekoppelt ist.
Wie wirkt es auf meine Mitmenschen, wenn ich nur nehme?
Diese Frage ist einfach zu beantworten: Egoistisch und gierig.
Die nächste Frage, die ich mir stelle, ist: Warum hat jemand das Verlangen nach ständigem Nehmen? Macht es ihn glücklich? Ich glaube nicht. Nicht umsonst zählt die Gier zu den Todsünden. Denn: Alles ist niemals genug. Ist es erstmal im Besitz, wird es uninteressant. Das Gehirn wurde kurz belohnt. Aber das Nehmen aus dem Wunsch, es nur besitzen zu wollen, macht nicht langfristig glücklich. Genauso wie das Nehmen, ohne auf die anderen zu achten.
Auch für das Annehmen spielt die Haltung, wie ich gebe, eine Rolle!
Wenn ich aus der oben beschriebenen “Muss-Haltung” heraus gebe und mir auch noch etwas davon erwarte, dann wird es schwer werden, liebend und dankend anzunehmen. Dann werden in mir unweigerlich Gedanke aufpoppen wie: “Warum macht mein gegenüber das? Was erwartet er im Gegenzug von mir?”
Vielleicht wurdest auch du so erzogen, dass Nehmen generell egoistisch sei und sich somit kein gesundes Mittelmaß entwickeln hat können. Entweder kannst du nicht annehmen um nicht egoistisch zu wirken oder du verhältst dich egoistisch, weil du oft gezwungen wurdest zu teilen.
Kann ich Geben von Nehmen überhaupt trennen?
Diese Frage möchte ich mit einem Gedicht aus dem Hauptbuch von Marshall B. Rosenberg “Gewaltfreie Kommunikation eine Sprache des Lebens” beantworten. Dieses Gedicht hat Ruth Berbermeyer für ihn geschrieben und es berührt mich jedes Mal, wenn ich das lese. Es geht so tief und ist für mich die wahre Essenz des Geben und Nehmens:
Ich bin ungemein beschenkt, wenn du etwas von mir annimmst – wenn du an der Freude teilhast, die in mir ist, sobald ich dich beschenke. Und du weißt, ich gebe nicht in der Absicht, dich in meine Schuld zu bringen, sondern weil ich die Zuneigung leben möchte, die ich für dich empfinde. Annehmen mit Würde ist vielleicht das größte Geschenk. Unmöglich kann ich die beiden Seiten voneinander trennen. Wenn du mich beschenkst, schenke ich dir mein Annehmen. Wenn du von mir nimmst, fühle ich mich sehr beschenkt.
Mehr kann ich dazu nicht beitragen. Dieses Gedicht sagt alles aus und beantwortet die Frage, ob wir Geben und Nehmen überhaupt trennen können, mit einem klaren
“Nein!”.
Wie wirkt sich das auf mein Leben aus, wenn ich Beides vereine?
Quelle: Pixabay
Vielen von uns wurde von klein auf beigebracht zu teilen. Das wollten unsere Eltern von uns oder die Betreuerinnen im Kindergarten. Dabei ist es gerade in diesem Alter so wichtig, auch etwas besitzen zu können. Nur dann ist es möglich, teilen zu lernen. Ein Kind will wissen, wie es sich anfühlt, etwas zu besitzen, dass es nicht hergeben muss. Wenn es das gelernt hat, wird es auch gerne teilen.
Ich glaube, dass diese Erziehung dazu beiträgt, dass wir uns auf der einen Seite gierig verhalten, weil wir nie gelernt haben zu besitzen. Und uns auf der anderen Seite schuldig fühlen, wenn wir ohne ersichtlichen Grund etwas geschenkt bekommen oder ein Dankeschön erhalten.
Mir kommt da immer meine Enkelin in den Sinn. Hast du schon mal versucht, einem Kleinkind etwas wegzunehmen? Meiner Erfahrung nach ist das unmöglich – außer du wendest Macht an. Aber wenn das Kind von sich aus geben will, so hast du fast keine Chance, es nicht anzunehmen. Es ist so wunderschön anzusehen, wie ehrlich Kinder sind.
Teile deine Erfahrung gerne in einem Kommentar ;-).
Eine kleine Geschichte zu Geben und Nehmen!
Ich möchte dir eine Geschichte erzählen. Was geschieht, wenn du aus freien Stücken von Herzen gibst:
Meine Nachbarn und ich haben ein wunderbares Verhältnis und wir unterstützen uns in jeder Hinsicht. Komplett ohne Erwartungen. Es ist auch ok, wenn mal keine Zeit zum Helfen da ist.
Dieses Erlebnis, welches ich nun schildere, hat mich so berührt, dass ich es gerne in meinen Seminaren zur wertvollen Kommunikation oder eben hier in diesen Artikel erwähne.
Mein Nachbar bat mich um Hilfe. Es war eine kleine Geste, aber ich machte sie mit Freude. Ich fuhr dann übers Wochenende fort und als ich nach Hause kam, fand ich ein kleines Säckchen mit folgendem Inhalt: Ein Zuckerl und ein anerkennender Text.
“Wir sind froh das es dich gibt – dankeschön!”
Diese Worte geben mir mehr als jede Entlohnung.
Von Herzen zu geben war für mich schon immer bereichernd. Was ich allerdings lernen durfte und was mir mittlerweile schon sehr gut gelingt, ist das “Annehmen”.
Wie kann es dir gelingen von Herzen zu nehmen aber auch zu geben?
Ich glaube, jeder hat schon von Herzen gegeben und auch angenommen. In manchen Bereichen, z. B. unter Freunden ist es oft selbstverständlich. Was für mich das Schöne an dieser Erfahrung ausmacht ist, wenn es auf alle Lebensbereiche ausgedehnt wird.
Es ist schön von Herzen zu geben. Wenn ich etwas nicht machen will “Nein!” sage, so gebe ich auch von Herzen. Denn: Ich schenke meinem Gegenüber meine Ehrlichkeit. Und die ist viel mehr wert, als angefressen zu sein und es mit der Erwartung zu erledigen, ihn in meine Schuld zu bringen.
Wenn du lernst, ohne Erwartungshaltung zu geben, ohne den anderen in die Schuld zu bringen wollen, dann ist das befreiend. Wenn du von Herzen gibst, dann ermächtigst du dein Gegenüber, ebenfalls aus freien Stücken zu handeln.
Das steigert immens die Lebensfreude und die Qualität des Gebens.
Was hat Geben und Nehmen mit Gewaltfreier Kommunikation zu tun?
Von Herzen geben ist das Herz der Gewaltfreien Kommunikation.
Quelle: Pixabay
Von Herzen schenken bereichert das Leben des anderen. Es ist für beide ein Gewinn – für den Nehmenden als auch für den Gebenden. Die Beschenkte freut sich über das, was er bekommen hat. Ohne Scham und Schuldgefühle zu haben. Der Gebende gewinnt die Einsicht, wie es ist, aus der Haltung heraus zu schenken, die zum Wohlergehen der Menschheit beiträgt.
Genauso in der Gewaltfreien Kommunikation. Ich erwarte mir kein “Ja!” auf eine Bitte und auch nicht diese oder jene Antwort oder Reaktion. Das heißt nicht das ich mich nicht freuen würde wenn es so kommt. Aber wir müssen dringend weg von Erwartungen und der ewigen “Muss-Haltung”. Das würde mich unglaublich begeistern, weil es das Miteinander wesentlich erleichtert.
Es ist schön, wenn die Kommunikation genauso aus dem Herzen kommt wie das geben und nehmen selbst.
Ich gebe, indem ich mich ehrlich selbst ausdrücke und nehme mein Gegenüber empathisch auf. Mit diesem Kreislauf des Lebens schaffen wir es mit hoher Wahrscheinlichkeit in Verbindung zu treten und zu bleiben. Von Herzen geben ist die Essenz, die Haltung, die Philosophie in der Gewaltfreien Kommunikation. Das ist, was ich an ihr so liebe, neben vielen anderen Dingen 🙂
Alles Liebe, dein Mike, Kommunikationstrainer mit Herz und Seele 🙂
PS.:
Übungen zu Geben und Nehmen
Übung 1
Denk an eine Situation, in der du berechnend gegeben hast:
Wie hat sich das für dich angefühlt?
Warum hattest du dieses Gefühl?
Was hast du dir damit erfüllt?
Wie hast du dich gefühlt, als du denjenigen/diejenige um einen Gefallen zurück gebeten hast und ein Nein bekommen hast?
Denke an eine Situation, in der du schon mal aus freien Stücken gegeben hast:
Wie hat sich das für dich angefühlt?
Warum war dieses Gefühl so präsent?
Was hat sich in dir erfüllt?
Wie hast du dich gefühlt als du denjenigen/diejenige um einen Gefallen zurück gebeten hast und ein Nein bekommen hast?
In welcher der beiden Situationen hast du dich wohler gefühlt?
Übung 2
Beende folgende Sätze aus deiner Erfahrung heraus:
Ich gebe gerne etwas, wenn …
Es macht mir keine Freude zu geben, wenn …
Ich kann leicht annehmen, wenn …
Etwas Schönes, das ich bekommen habe, war …
Weil …
Fasse nun für dich zusammen, was dir beim Geben und Nehmen wichtig ist. Wenn du Lust hast, schreib es gerne in die Kommentare 😉
Hast du Lust auf noch mehr Gewaltfreie Kommunikation? Dann melde dich gerne zu meinen Workshops an!
Juni 16 @ 9:00 – Juni 21 @ 21:00
Juni 22 @ 10:00 – 23:00
September 4 @ 18:30 – November 27 @ 21:00
September 12 @ 16:00 – September 27 @ 13:00
Weitere findest du unter
www.rueckkehr-zum-frieden.at/veranstaltungen
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